Was lässt sich aus einem guten Haustechnik-Monitoring lernen? Wie können Elektroautos das Netz stabilisieren? Wie ist es um die PV in Österreich bestellt und welchen Beitrag leistet die Wohnraumlüftung zu Raumluftqualität und Klimaschutz? Diesen und vielen weiteren Fragen sind wir beim Fachforum Strom & Wärme am 9. Mai 2023 auf den Grund gegangen.
1. Wohnraumlüftungen können signifikant zur CO2-Reduktion beitragen
Bis zu 50 % Einsparung bei der Heizenergie bringt eine Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung – in Abhängigkeit vom Gebäudestandard. 11 Millionen Tonnen CO2 würden in Deutschland weniger emittiert, wenn knapp 10 % der Wohnungen mit einer Lüftung mit WRG ausgestattet wären. Das rechnet Barbara Kaiser vom Bundesverband der deutschen Heizungsindustrie vor.
Über die Frage nach der noch eher schleppenden Verbreitung von Lüftungsanlagen muss allerdings auch die Expertin spekulieren: Allgemein hohe Baukosten würden zum Streichen der nicht absolut notwendigen Positionen führen, darunter des Öfteren eben auch Lüftungsanlagen.
2. Wohnraumlüftungen schaffen gesunde Innenräume
Ebenso wie den Energiebedarf senken Lüftungsanlagen auch die Konzentration an Luftschadstoffen in Innenräumen. Und zwar beträchtlich, wie Christoph Scholte von der Zehnder Group zu berichten weiß. In einem europaweit normierten Versuchsaufbau konnten seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachweisen, dass die Konzentration von während des Bauprozesses über Materialien eingebrachten Schadstoffen mit einer Lüftungsanlage binnen weniger Tagen deutlich unter alle relevanten Grenzwerte gesenkt werden konnte. Bei forciertem Luftwechsel wurden im Labor bereits nach einem Tag die strengen Sentinel-Haus-Grenzwerte unterschritten.
Die Attraktivität von Lüftungsanlagen zudem erhöhen dürfte der Haupttrend, den Scholte in zusätzlichen Funktionen rund ums Heizen und vor allem Kühlen mit der Lüftungsanlage verortete.
3. KI macht Fernwärmenetze effizienter
Sie soll vor allem dabei helfen, treffsichere Wärmelastprognosen zu errechnen: die Künstliche Intelligenz. Damit sie das kann, muss sie erst mit guten Daten gefüttert werden, berichten Marius Dechand von der Deutschen Energieagentur und Sven Rausch von ENER-IQ. Gar nicht so einfach, denn von den rund 450 Fernwärmeversorgern in Deutschland „kennen“ nur etwa die Hälfte ihre Netze ausreichend gut. Die anderen sind nicht mit ausreichend (guter) Messtechnik ausgerüstet, was eine Verordnung ändern soll.
Sind die Netze messtechnisch gut aufgestellt, kann die KI dabei helfen, Wärmelasten sehr genau zu prognostizieren und Anomalien zu erkennen. Das führt zu Energieeinsparungen genauso wie zur möglichen Verschlankung von Infrastruktur, beispielsweise von Spitzenlastkesseln. Der Aufwand und die Kosten für den KI-Einsatz sind derzeit noch recht hoch, weshalb sie sich vor allem in großen Netzen rechnen.
4. PV-Pflicht? Warum nicht!
Der Fachkräftemangel und gestörte Lieferketten bleiben mittelfristig problematisch, auch weil wichtige Entwicklungen vernachlässigt wurden, meint PV-Austria-Geschäftsführerin Vera Immitzer. Und thematisiert auch die Bürokratie bei den Förderungen und das Fördersystem insgesamt als nicht mehr zeitgemäß. Eine Mehrwertsteuerbefreiung wäre für sie das effizientere Instrument, vor allem bei kleinen Anlagen, die von Privatpersonen errichtet werden.
Gesetzliche Rahmenbedingungen würde sie in Richtung Beschleunigung des Ausbaus lenken, auch eine PV-Pflicht (wie sie in Niederösterreich, der Steiermark und Kärnten schon heute besteht) wäre für sie ein Thema.
Eine ausführliche Zusammenfassung des Videos können Sie hier nachlesen.
5. Das regelt die Elektromobilität
Können Elektrofahrzeuge netzdienlich sein, auch wenn sie keinen Strom zurück ins Netz einspeisen, sondern nur klug geladen werden? In Verbindung mit smarten Heimspeichern ja, meint Isabella Marra von Sonnen GmbH. Der bayerische Spezialist für „Flexibilitäten“ am Energiemarkt hat über 100.000 dezentrale Speicher mit der Leistung eines halben Atomkraftwerks installiert, mit denen mehrere MW tatsächlicher Regelleistung bereitgestellt werden können. In Zukunft sollen neben Elektrofahrzeugen auch Wärmepumpen eingebunden werden.
6. Neue Haustechnik will nachjustiert werden
Plug and play spielt sich in der Haustechnik nicht, verbaute Systeme wollen überwacht und nachgebessert werden, wenn sie so effizient laufen sollen wie geplant. Zu dieser Erkenntnis gelangte das Team rund um Tobias Hatt vom Energieinstitut Vorarlberg in einem umfangreichen Monitoringprojekt zweier neu errichteter Wohngebäude. So wurden innerhalb von zwei Jahren nach der Inbetriebnahme des Gebäudes unter anderem festgestellt, dass aufgrund fehlerhafter Einstellungen die Zirkulation im Zweileitersystems für die Wohnungsstationen und den internen Kreisen der Warmwasserstationen in den Wohnungen praktisch dauernd und die Wärmepumpe auch im Sommer in Betrieb war, was zu deutlich erhöhten Stromverbräuchen führte.
Die gute Nachricht: Zwei von drei Optimierungen waren nur Einstellungen, keine baulichen Maßnahmen. Die Inbetriebnahme der Anlagen durch die Hersteller selbst könnte zudem deren Resilienz erhöhen.
7. Nutzerverhalten sticht technische Effizienz
4,3 Milliarden Datenpunkte aus hundert Mehrwohnungshäusern gesammelt und analysiert hat ein Team rund um Viktor Grinewitschus von der EBZ Business School in Bochum. Ziel war es, herauszufinden, welche Effizienzpotentiale in nichtbaulichen Maßnahmen stecken. Die wesentlichen Erkenntnisse: In der Regel überdimensionierte Heizkessel schaffen regelungstechnische Probleme. 79 % der Kessel waren auch im Sommer in Betrieb (obwohl die Warmwasserbereitung separat erfolgte). Wie intensiv eine Wohnung genutzt wird (oder im Umkehrschluss: wie viele Tage im Jahr die Bewohner weg sind), wirkt sich nicht unmittelbar auf den Heizbedarf.
Großes Einsparpotential sieht Grinewitschus darin, die „Verschwendungspotentiale“ zu begrenzen, also konsequent nur die Wärme zu produzieren, die tatsächlich auch benötigt wird. Die permanente Anpassung von Erzeugung und Verteilung an den Bedarf, das Absenken von Temperaturen wo immer möglich, das Feedback zu auftretender Verschwendung und die Unterstützung der Bewohner*innen beim sparsamen Verhalten sind wesentliche Empfehlungen für den effizienten Gebäudebetrieb.
8. Es gibt Potential für Windkraft in Vorarlberg
Es gibt ein nennenswertes Potential zur Produktion von Windstrom im Ländle, nicht zuletzt zur Verkleinerung der sogenannten „Winterstromlücke“, also jener Schere, die sich zwischen Verbrauch (Heizung!) und Produktion (weniger Sonne, weniger Wasser) vor allem in der kalten Jahreshälfte auftut. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie, über die Markus Niedermair vom Amt der Vorarlberger Landesregierung zum Abschluss des Fachforums kurz berichtet. Aktuell schätzt Niedermair die Bedingungen für Windkraft in Österreich als relativ gut ein, und es ist grundsätzlich möglich, Projekte zu starten. Wie groß der Run wird, wagt Niedermair noch nicht zu prognostizieren. Details zur Studie finden sich hier.
Das nächste Fachforum Strom & Wärme findet am 11. Oktober 2023 im Rahmen der Fachtagung zur Energieautonomie+ im Festspielhaus in Bregenz statt. Details und Anmeldung hier.
Zuletzt aktualisiert am 7. August 2023