Allmählich wird in Architekturwettbewerben selbstverständlich, was lange als Zumutung betrachtet wurde: Robustheit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Ein persönliches Blitzlicht unserer Architektin und Expertin für nachhaltiges Bauen Sabine Erber.
Vorneweg: Ich bin begeistert von Architekturwettbewerben und den Chancen, die sie bieten, um die beste Lösung für eine Bauaufgabe zu finden. Seit fast 30 Jahren arbeite ich in und mit Architekturwettbewerben. In offenen Wettbewerben in den 90er Jahren in Berlin gab es über 400 Teilnehmende und Juryvorsitzende, die sehr autoritär im ersten Rundgang 360 Arbeiten mit der lapidaren Aussage ausschieden, diese Arbeiten seien sicher nicht gehaltvoll und wenn doch, könne man sie ja jeder Zeit zurückholen. 360 Architekt*innen hatten viel Arbeit investiert und wurden noch nicht mal angesehen.
In den letzten Jahren begleitete ich als Beraterin für Energieeffizienz und Ökologie viele Wettbewerbe in Vorarlberg. Meine Einwände gegen die Kubatur eingeschossiger Kammstrukturen wurden mit dem Hinweis marginalisiert, dass es nicht möglich sei, nur Kugeln zu bauen.
Nachhaltigkeit im Vorentwurf
Heute nehmen Architekt*innen Vorgaben zu Energieeffizienz, grauer Energie oder Ökologie der Materialien selbstverständlich als weitere Vorgaben im Entwurfsprozess auf. Raumprogramm, Erschließung, Belichtung waren immer prägende Bedingungen. Heute gehören Klimaschutz, Energieeffizienz und regionale Materialien auch dazu. Je früher alle gewünschten Kriterien bekannt sind, desto leichter können sie mit allen anderen Bedingungen in den Entwürfen realisiert werden. Um klimaneutral im fortschreitenden Klimawandel zu bauen, ist Nachhaltigkeit mit all ihren Themen ein Muss.
Deswegen interessieren sich auch Fachpreisrichter* innen in den Preisgerichten für Nachhaltigkeitsthemen, wie beispielsweise energetische Performance und sommerlichen Wärmeschutz. Wenn ich den Auftrag habe, Anforderungen für Energie und Ökologie der Wettbewerbsarbeiten zu beurteilen, werde ich mittlerweile regelmäßig aufgefordert, meine Vorprüfungsergebnisse hinsichtlich Fensterflächenanteilen, Nachtauskühlungskonzepten oder Tageslichtausbeute im Preisgericht vorzustellen. So bekommen diese Themen in der Entscheidung um den besten Entwurf für den jeweiligen Standort ihren eigenen Stellenwert.
Hinterher ist teuer (und nicht immer möglich)
Das ist wichtig, denn nicht alles kann im Nachhinein geheilt werden. Ungünstige Gebäudeentwürfe können mit mehr Dämmung und der richtigen Haustechnik energieeffizienter werden, aber die großen Hüllflächen benötigen ihr ganzes Leben lang mehr Heizenergie. Ein großer Fußabdruck des Gebäudes verbraucht den Boden auf Lebenszeit.
Ganzglasfassaden bei Schulgebäuden sehen in der Plangrafik schick aus, sind aber im Sommer nur mit aktiver Kühlung und dauernd geschlossenen Raffstores zu temperieren. Ein feststehender Sonnenschutz muss im Vorentwurf in die Fassadengestaltung integriert werden, damit er lange einen Beitrag zur Verschattung der Fassade leisten kann. Mit dem Low-Tech-Gedanken wird der Einsatz von Kaskaden- und Hybridlüftungen immer beliebter, um Raumhöhen und Kosten einzusparen.
Dabei wird oft übersehen, dass dann ein sommerliches Nachtlüftungskonzept über geöffnete Fenster und möglichst über Dach entwickelt werden muss. Ein solches Konzept muss mit Grundriss und Nutzung korrespondieren und kann nicht im Nachhinein geplant werden.
Viele Anforderungen müssen mitgedacht werden
Oft gelingt es nicht, Kompaktheit und gute Belichtung im Entwurf zu vereinen, beide Kriterien sind aber essentiell und werden oft nicht ausreichend diskutiert. Um kompakt zu bauen, werden in den Wettbewerbsbeiträgen immer mehr Räume ins Innere verlegt. Diese Räume sind für immer auf Stromversorgung für ganzjährige Lüftung und elektrisches Licht angewiesen. Besser sind Lösungen mit der Möglichkeit zur natürlichen Belichtung und Belüftung, um weniger abhängig von technischen Lösungen zu sein.
Auch für zukünftige Anpassung an den Klimawandel gibt es zahlreiche Anforderungen, wie beispielsweise wenig versiegelte Flächen, versickerungsfähige Böden, schattenspendende Bäume, begrünte Dächer und Schutz vor Überflutung bei Starkregen. Natürlich muss sanfte Mobilität schon im Vorentwurf mit guter fußläufiger Erschließung und überdachten Radabstellanlagen nahe den Eingängen gefördert werden. Das sind sehr viele Anforderungen, die alle sehr früh mitgedacht und aufeinander abgestimmt werden müssen.
Zum Glück gibt es immer wieder Entwürfe, die alle Probleme wie selbstverständlich lösen und dabei ganz einfach und logisch aussehen. Es gibt keinen Widerspruch zwischen stimmigen städtebaulichen Lösungen, gut funktionierenden Grundrissen und den Anforderungen an Nachhaltigkeit. Deswegen ist es wichtig, dass im Preisgericht alle Anforderungen diskutiert werden. Nur so werden die gewürdigt, die alle Aspekte für ein zukunftsfähiges Gebäude berücksichtigen.
Dieser Text stammt aus der 73. Ausgabe unserer Institutszeitschrift max50, die im April 2023 erschienen ist. Sie können Sie hier nachlesen und max50 kostenlos abonnieren.
Zuletzt aktualisiert am 16. Juni 2023