Ist Vorarlberg eigentlich schon „gebaut“? Bauen wir 2050 noch? Und wenn ja, wie? Oder decken wir den notwendigen Wohnbedarf aus dem Bestand? Über das „Heimaten“ und eine „Kultur der Dichte“ sprachen zum Abschluss der Energie Lounge 2017 Raumplaner Markus Berchtold-Domig und Anne Brandl von der Uni Liechtenstein mit WKV-Vizepräsidentin Petra Kreuzer und dem Lauteracher Bürgermeister Elmar Rhomberg.
Über 400.000 Menschen werden bis 2050 in Vorarlberg leben, meint die Statistik Austria. Dieser Zuwachs könnte zumindest im Bregenzerwald unter Nutzung des derzeitigen Leerstandes ohne Neubauten Wohnraum finden, meint Markus Berchtold-Domig. Er hat sich zwischen 2007 und 2014 im Rahmen des Projekts „Alte Bausubstanz“ intensiv mit dem Leerstand im Bregenzerwald auseinandergesetzt. Wäre die Leerstandssituation des Bregenzerwaldes auf das ganze Land übertragbar, dann wäre Vorarlberg bis 2050 quasi „gebaut“ – gelänge es freilich, den Leerstand auch zu mobilisieren. In seiner Keynote versucht der Schwarzenberger Raumplaner, die wesentlichen Herausforderungen in der Leerstandsmobilisierung zu skizzieren.
Die Welt werde komplexer, globaler, aber auch verletzlicher. Aufgabe des Bauens sei es, Handlungsspielräume, stimmige Lebensräume, Rückzugsorte und Kraftquellen für die Menschen zu schaffen. Gelinge dies, spricht er von „Heimat“ – nicht allerdings im Sinne einer regionalen Identität, sondern einem „Zuhause“.
Als Zeitwort meine „heimaten“ das Spüren, was es brauche und das Finden eines persönlichen Maßes an Raum in Abgrenzung zum öffentlichen Raum der Begegnung. Diese grundlegende Klärung ist laut Berchtold-Domig die Voraussetzung für eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Raum. Und damit auch mit dem Leerstand, denn der präge Nachbarschaften und Quartiere.
Dessen Mobilisierung gestalte sich aber schwierig, räumt Berchtold-Domig ein und nennt auch die Gründe dafür: Leerstand koste quasi nichts. Und Intervention von außen würde bei den Eigentümern nicht besonders gut ankommen und daher unterlassen. Damit herrsche aus Eigentümerperspektive praktisch kein Leidensdruck, Leerstand zu entwickeln. Die Bescheidenheit in Bezug auf Komfort und Behaglichkeit verbunden mit der Möglichkeit, die Nachkommen an sich zu binden, halte vor allem ältere Menschen davon ab, teilleerstehende Gebäude zeitgerecht weiterzugeben. Das führe dazu, dass die Nachkommen sich bereits eigenen Wohnraum geschaffen hätten, ehe sie Bestandsgebäude übernehmen könnten.
Ein kurzsichtiger Blick auf die Dinge, denn Leerstand entwerte grundsätzlich hochwertige Standorte und Kulturlandschaft werde zur Scheinwelt. Damit verliert sie aber die Fähigkeit, stimmige Lebensräume, also „Heimat“, hervorzubringen.
„Kraft und Vertrauen im Raum – das ist Heimat.“ Markus Berchtold-Domig verortet das Bauen der Zukunft an ganz elementaren Bedürfnissen.
Anne Brandl von der Universität Liechtenstein skizziert ein zweites Phänomen, das dazu geneigt ist, Räume ihrer Qualitäten zu berauben, nämlich den „Dichtestress“. Der hat es 2014 immerhin zum Unwort des Jahres in der Schweiz geschafft. Eigentlich aus der Geflügelzucht stammend, beschreibt es die negativen Auswirkungen von zu vielen Individuen auf zu engem Raum. Und dieser Zustand könne bei schlecht umgesetztem verdichtetem Bauen schon einmal eintreten.
So fordert Brandl eine „Kultur der Dichte“ und skizziert vier zentrale Herausforderungen: Zum ersten passiere Verdichtung im Bestand, das bedürfe der Auseinandersetzung mit diesem und vor allem mit jenen, die ihn bereits bewohnen.
Zweitens werde Verdichtung noch immer viel zu oft auf der Ebene einer Parzelle gedacht. Auf dieser Ebene ließe sich durch die effizientere Verwertung Geld verdienen – und zwar auf Kosten einer bestehenden und schnell überlasteten Infrastruktur. Damit ergebe die Belastbarkeit insbesondere der Verkehrsinfrastruktur die eigentliche Grenze der Verdichtbarkeit und erfordere das gemeinsame und interdisziplinäre Betrachten und Lösen.
Drittens entstehe öffentlicher Raum nicht durch Addition von Partikularinteressen sondern wäre dann lediglich der übriggebliebene Rest.
Und viertens erstrecke sich der Prozess von Nachverdichtung über Generationen und wäre verbunden mit der Herausforderung, Nutzen zu kommunizieren, der sich erst nach zehn oder zwanzig Jahren einstelle und Qualitäten festzulegen, die ein erstrebenswertes, aber kein festgelegtes Bild ergäben.
Dazu käme, dass wir Dichte vor allem baulich verstünden. Aber was wäre der Mehrwert von Verdichtung?
„Der größte Feind der Verdichtung ist der Nachbar.“ Anne Brandl über das „NIMBY“-Prinzip, das ebenjene Dissonanz beschreibt, die uns dazu veranlasst, Dinge grundsätzlich gut zu finden, aber halt „Not In My Back Yard“.
In einem utopischen Rückblick aus dem Jahr 2050 skizziert Brandl Eckpunkte einer räumlichen Entwicklung, wie sie möglicherweise stattgefunden haben wird. Sie spricht davon, dass die Siedlungsfläche auf dem Stand von 2012 eingefroren und in Konsolidierungszonen und Transformationszonen aufgeteilt wurde. Erstere würden nur leichten Modifikationen wie der Sanierung und Erweiterung des Bestandes unterzogen während letztere durch Ersatzneubauten und Upcycling die notwendige Dynamik zur Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten sicherstellen würden.
Die Baunutzungszahl wurde ersetzt durch Indikatoren wie die „Atmosphärische Dichte“, die sinnliche Wahrnehmung und Empfindung als Mehrwert von Verdichtung quantifiziert und damit die Grundlagen schaffen für neue Formen der Mobilität und ein neues Bespielen und Erleben von öffentlichem Raum. Am Ende des Tages würden wir, zitiert Anne Brandl Heidegger, nicht wohnen, weil wir gebaut hätten, sondern bauen, weil wir Wohnende seien.
Wohnende gibt es reichlich in der Marktgemeinde Lauterach. Sie zählt zu den prosperierenden Gemeinden im Vorarlberger Rheintal und kämpft mit dem raschen Bevölkerungswachstum, das die attraktive Lage und die gute wirtschaftliche Entwicklung mit sich bringen. Bürgermeister Elmar Rhomberg ist noch auf der Suche nach dem idealen Rezept. Während der Bedarf an Wohnraum und die Grundstückspreise um die Wette steigen, hätten die verschiedenen Anstrengungen der Gemeinde, die beiden Aspekte unter einen Hut zu bringen, nicht immer zur steigenden Zufriedenheit beigetragen.
„Die Bürger wollen die Dichte in der Form nicht.“ Bürgermeister Elmar Rhomberg ist noch auf der Suche nach einer Lösung, die steigenden Bedarf an Wohnraum und steigende Grundstückspreise unter einen Hut bringt.
Raumplanung müsse daher neu gedacht werden, manifestiere sich als Erkenntnis beim Bürgermeister, und stärker auf gesellschaftliche Aspekte und die Sorgen und Interessen der unmittelbar betroffenen Bürgerinnen und Bürger eingehen. Gemeinsame Spielregeln über die gesamte Gemeinde müssten gefunden und Zonen intensiverer und extensiverer Nutzung definiert werden. Das alleinige Hochschrauben von Baunutzungszahlen ist offensichtlich noch keine ausreichende Antwort auf die derzeitigen und künftigen Herausforderungen.
Das sieht Petra Kreuzer differenzierter. Für die Vizepräsidentin der Vorarlberger Wirtschaftskammer und Vorstand von Vorarlbergs größtem privaten Wohnungsbesitzer, der F.M. Hämmerle Holding birgt das Bauen in die Höhe vor allem die Möglichkeit, qualitative Freiflächen zu entwickeln.
„Ich glaube, ja!“ Petra Kreuzer auf die Frage, ob der Markt in Vorarlberg für gemeinschaftliches Wohnen à la WG oder Genossenschaft da sei.
Überhaupt sieht sie Bedarf und Potential, neue Angebote zu schaffen. So würde im Unternehmen intensiv über neue Angebote für „junges Wohnen“ nachgedacht, die sich in Bezug auf Wohnungsgrößen (kleiner), Qualitäten (angepasst), Mobilität (E-Carsharing statt obligatorischer Miete eines Tiefgaragenplatzes) und vielleicht auch die Wohnformen selbst (WG? Genossenschaft) vom derzeit gängigen Angebot unterscheiden würden. Der Markt dafür sei jedenfalls da.
Schöne, neue Welt? Nach der Energie Lounge 2017 schon. Zumindest denkbar.
Bildnachweis (alle Bilder dieser Seite): Darko Todorovic.