Was ist nachhaltiges Bauen? Welche Kraft steckt im Prozess? Warum gelingt nachhaltiges Bauen mancherorts besser, als anderswo? Und wo endet die Verantwortung der Bauträger? Diese und viele andere Fragen diskutierten am dritten Abend der Energie Lounge 2018 die Architekten Anna Heringer und Hugo Dworzak gemeinsam mit Altbürgermeister Arnold Hirschbühl und Baumeister Günter Morscher.
„Nachhaltigkeit wiegt schwer, beschäftigt uns schon lang und ist auch – verzeihen Sie mir – ziemlich abgelutscht.“ So eröffnet Architekt Hugo Dworzak seinen Vortrag, den er mit dem Auftrag antritt, das nachhaltige Bauen in Vorarlberg einer Rück- und einer Vorschau zu unterziehen. Deshalb habe er seinen langjährigen Freund und Berufskollegen Arno Bereiter zu Rate gezogen und ihn gefragt, was „nachhaltiges Bauen“ für ihn bedeute. Was jener wie aus der Pistole geschossen so beantwortet habe: „Was tauglich ist und was Freude macht.“
„Nachhaltig ist, was tauglich ist und was Freude macht.“
Hugo Dworzak mit einem Bestimmungsvorschlag.
Was Dvorzak überraschte, ihm aber zwei bestätigende Erlebnisse aus seiner Zeit als Architekturstudent ins Gedächtnis rief: In deren einem besuchten die Studenten um Mentor Josef Lackner eine Möbelausstellung von Vitra Design, in der Lackner die Studenten aufforderte, auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Auf die Frage, ob der Stuhl bequem zum Sitzen sei, antworteten die Studenten mit nein. Somit sei der Stuhl zwar schön, aber nicht tauglich, schloss Lackner.
Auch das zweite Erlebnis setzte sich mit einer Stilikone auseinander, dem Centre Pompidou in Paris, das – nicht als einziges als Ikone bezeichenbares Gebäude – die veranschlagten Kosten um ein Vielfaches überstieg. Die Frage, ob solche Mehrkosten für ein Gebäude zu rechtfertigen wären, beantwortete Lackner deshalb mit ja, weil das Gebäude bereits kurz nach seiner Eröffnung Millionen von Menschen Freude bereitet und sie begeistert habe.
Tauglichkeit und Freude also. Wozu es laut Dworzak auch in Vorarlberg ein wunderbares Beispiel gebe, den Bregenzer Milchpilz nämlich. Denn der ist – trotz oder gerade wegen der sich konstant erneuernden Umgebung – quasi einen Kulturkonstante. Und Dvorzak wird am Ende seines Vortrags darauf noch einmal zu sprechen kommen.
Der in den 50er-Jahren errichtete Milchpilz führt den Architekten in den ersten Auftrag seiner Ausführungen, die Rückschau. Und darin beleuchtet er drei historische Gegebenheiten in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, die dem nachhaltigen Bauen in Vorarlberg jeweils ihren Stempel aufgedrückt haben:
Erstens: die Südtirolersiedlungen. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges kamen zahlreiche sogenannte Optanten aus dem deutschsprachigen Italien nach Vorarlberg, für die rasch geeigneter Wohnraum geschaffen werden musste. Die Vorarlberger Gemeinnützige Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft wurde gegründet und errichtete in vielen Gemeinden rasch weitläufige Wohnanlagen mit stark repetitiven Elementen. Schon in deren Einreichplanungen zeigte sich laut Dworzak Genügsamkeit. Und die hohe Funktionalität des Zwischenraumes zeige sich vielerorts, Wäscheleinen beispielsweise wären noch immer gespannt – von 1940 bis 2018. Und die zwischenzeitlich errichteten Garagen regen – sollte das Automobil irgendwann aus dem unmittelbaren Alltag verschwinden – Dworzaks Fantasie an, böten sie doch ungeheure Möglichkeiten, den Raum zu beleben.
„Verschwindet erst einmal das Automobil, eröffnen sich ungeheure Möglichkeiten!“
Die Südtirolersiedlungen der 30er-Jahre regen Hugo Dworzaks Fantasie an.
Zweitens: Die Wohnungsnot in Vorarlberg in den Zwanzigerjahren. Die dadurch bekämpft wurde, dass vorwiegend arbeitslose Männer in Gruppen Ensembles aus formgleichen Häusern errichtet haben. Nachdem die Gruppen einen Häuserzug fertiggestellt hatten, wurden die Häuser unter den Arbeitern verlost und bezogen. Das Konzept ist dabei so einfach wie genial: Jeder hatte einen Wohnraum sicher, aber niemand wusste, welchen. Die Motivation, in allen Häusern sorgfältig zu arbeiten, war dadurch natürlich bis zur Fertigstellung hoch. Man könnte heute einwenden, dass die Häuser aufgrund der großzügigen Grundstücke nicht sehr nachhaltig seien, viele von ihnen würden laut Dworzak derzeit aber buchstäblich über sich hinauswachsen und erweitert und ausgebaut werden.
Drittens: Die Areale für die Textilindustrie im ausgehenden 19. und beginnenden zwanzigsten Jahrhundert. Die mit hoher Funktionalität errichteten Fabrikgebäude mit ihren großzügigen Volumina und Raumsituationen schaffen heute Räume für Büros mit besonderem Ambiente, das besonders von der Kreativwirtschaft geschätzt und gesucht wird. Auch das Büro Dworzak war eine Zeitlang im Dornbirner Steinebach einquartiert, wo sich seit einigen Jahren ein hippes Geschäftsquartier entwickelt hat.
Alle diese Zeiträume und Anlässe waren Grundlage für Gebäude mit einer hohen Tauglichkeit, die sich bis in die heutige Zeit erhalten hat. Und es auch in die Zukunft wird?
„Auch wir Architekten tun uns schwer, die Zukunft vorauszusagen. Auch wenn fast alles, was wir tun, in die Zukunft gerichtet ist.“
Hugo Dworzak mit einem Eingeständnis.
Schwierig zu sagen, gibt Dworzak zu und bekennt die Schwierigkeit mit dem zweiten Teil seines Auftrages, nämlich einen Ausblick auf das nachhaltige Bauen in Vorarlberg in der Zukunft zu geben. Interessanterweise täten sich Architekten dabei genauso schwer wie alle anderen, obwohl ihr Tun fast ausschließlich in die Zukunft gerichtet sei. Und erzählt von einem Berufskollegen, der von einem Büromöbelhersteller gebeten wurde, zu skizzieren, wie Büromöbeln in zwanzig Jahren aussehen und zu funktionieren hätten. Dieser habe vorgeschlagen, in 19 Jahren wieder auf ihn zuzukommen, dann hätte er vermutlich eine Idee.
So verlegt sich Dworzak statt auf das Weissagen auf das Vorschlagen. Und sein erster Vorschlag lautet, zu fragen, was denn Nachhaltigkeit im Bauen überhaupt bedeute. Effizienz, Suffizienz und Konsistenz, würde an der Universität Liechtenstein gelehrt, an der auch Dworzak tätig ist. Effizienz mögen wir gern, meint der Architekt, und wir würden sie noch lieber mögen, wenn da nicht der Rebound-Effekt wäre. Konsistenz sei uns auch verständlich, sie bedeute das Führen von Materialien im Kreislauf, also Re-Use, Recycling und Upcycling. Scheitern würden wir aber an der Suffizienz. Denn wer möchte schon mit genug sein Auslangen finden? Wann wüssten wir überhaupt, was genug sei? Was sei an Räumlichkeit genug? Und wäre nicht weniger immer noch mehr als genug? So konstatiert Dworzak auch in der Lehre ein gewisses Scheitern an der Suffizienz, denn schließlich seien insbesondere Architekten am Erschaffen und am Kreieren von Neuem und damit schon per Definition an Wachstum ausgerichtet.
„Wer möchte schon mit „genug“ sein Auslangen finden?“
fragt sich Hugo Dworzak.
Doch es gibt Hoffnung. Denn Dworzak schreibt die Fähigkeit, im selbständigen und tiefgründigen Denken auch Zugänge zur Suffizienz und damit zur Nachhaltigkeit zu finden, nicht ab. Und schlägt ein konkretes Experimentierfeld vor: Eine Tabula rasa. Eine Gemeinde solle ein Grundstück zur Verfügung stellen, das in einem offenen Wettbewerb entwickelt würde, an dem alle (und zwar wirklich alle) teilnehmen dürften. Ohne Programm, ohne Vorgaben, ohne Normen, ohne Richtlinien. Dann würde sich zeigen, ob wir überhaupt noch in der Lage wären, selbständig zu denken. Und vom Überflüssigen zurück zum Notwendigen zu finden.
„Den Bregenzer Milchpilz gibt es noch immer. Ein gutes Zeichen. Hoch lebe die Nachhaltigkeit!“
Hugo Dworzak outet sich als Fan.
Also: Die Tauglichkeit wieder in den Fokus der Nachhaltigkeitsdiskussion rücken? Genau. Denn was taugt, das hält auch. Der Bregenzer Milchpilz zum Beispiel, als letzter von 50, die es im Bodenseeraum gab. Ein gutes Zeichen. Hoch lebe die Nachhaltigkeit!
Zu der zeigt Anna Heringer als zweite Impulsgeberin des Abends einen vielfältigen und spannenden Zugang anhand vieler Projekte und inspirierender Bilder, was das vorliegende Format und den Verfasser an seine Grenzen bringt und deshalb vorweg die Empfehlung beinhaltet, sich ihr Wirken in einer der zahlreichen Publikationen von oder über die preisgekrönte Architektin zu Gemüte zu führen, Verweise dazu finden sich am Ende dieses Textes.
Anna Heringer beginnt ihren Vortrag mit einer Geschichte über eine Exkursion mit Zürcher Studenten ins Große Walsertal an zwei kalten Oktobertagen im Herbst 2016, denen am Nachmittag bei Temperaturen rund um den Gefrierpunkt eröffnet wurde, es wäre kein Hotel gebucht. Und nein, auch kein Gasthaus. Schließlich sollten zwei Dutzend Architekturstudenten in der Lage sein, sich eine Übernachtungsmöglichkeit zu bauen, oder? Nachdem sich die erste Panik gelegt habe, hätten die Studenten relativ rasch zu einer für Heringer zentralen und in jeder Konsequenz schlüssigen Strategie für das Nachhaltige Bauen gefunden: Schauen, was es vor Ort gibt. Und damit arbeiten. Also die lokal verfügbaren Materialien und die lokal vorhandene menschliche Arbeitskraft zu nutzen.
„Schauen, was es vor Ort gibt. Damit arbeiten. Das ist nachhaltiges Bauen.“
Auch Anna Heringer hat einen Vorschlag zur Begriffsbestimmung.
Diese Strategie zieht sich durch Heringers Wirken, von dem sie in den folgenden zwanzig Minuten ausführlich und aus aller Welt erzählt. Der rote Faden: Lokales Material – vorwiegend Lehm – und die lokal verfügbare Arbeitskraft. Die ungeahnte Macht der Partizipation. Und die Verführung durch das Einfache, Greif- und eigenhändig Formbare.
Ob in der Schule in Bangladesh, an der neben Tagelöhnern auch Lehrer, Eltern und auch Kinder ihren Fähigkeiten entsprechend mitarbeiten können. Oder der Neugestaltung des Altars in der Wormser Kathedrale, die von der Kirchengemeinschaft ausgehend am Ende ein Akt der internationalen Partizipation wurde. Bis zum „Wohnzimmer“ bei Omicron, wo in einem High-Tech-Unternehmen die archaischste und unmittelbarste Art des Bauens – quasi Dreck mit den eigenen Händen zu formen – Anwendung fand.
Heringer prägt mit ihren Projekten keinen Stil, sondern ein Prinzip: Welche Ressourcen sind vor Ort vorhanden? Wie kann man sie durch lokale Kreativität veredeln? Und wir kann sich die Kraft des Prozesses entfalten? Kaum etwas gäbe einer Gemeinschaft mehr Zusammenhalt, als das Errichten eines Gebäudes, das gemeinsame Schaffen von Beständigem. Da wir das Bauen aus der Hand gegeben und an Architekten und Baumeister ausgelagert hätten, hätten wir auch die Kraft aus diesem Prozess verloren. Und die zurückzugewinnen, strebt die bayerische Architektin mit ihren Mitstreitern an.
Zu denen gehört auch Martin Rauch, mit dem Heringer zahllose Projekte realisiert hat, deren Qualität auch in der Auseinandersetzung der Protagonisten mit dem Projekt, sich selbst und miteinander begründet liegt.
„Wenn der bayerische Barock auf den Vorarlberger Pragmatismus trifft, dann ist es manchmal besser, mit den Händen zu arbeiten. Da kommt man nicht so zum Streiten.“
Anna Heringer über die Zusammenarbeit mit Vorarlbergs Lehmbaumeister Martin Rauch.
Mitunter stoßen die Euphorie und die Radikalität der Ansätze an Grenzen, insbesondere, wenn es um die Genügsamkeit geht. So kann auch Heringer an Dworzaks Erfahrungen in Bezug auf die Überforderung mit der Suffizienz anknüpfen: Beim Bau einer Jugendherberge aus Lehm wäre eine hohe thermische Qualität des Gebäudes nur unter hohem Aufwand möglich gewesen. So überlegte sich die Architektin, die thermische Hülle nicht um das Gebäude, sondern um die Menschen und die Heizung nicht zentral, sondern dezentral quasi in extremis anzulegen. Sprich: Die Gäste der Herberge sollten Steppdecken und in einem von Harald Müller ausgeklügelten Ofenkonzept zentral temperierten Wärmflaschen erhalten, die sie warm durch die kühlen Nächte bringen sollten. Das Konzept fand schließlich keine Verwirklichung. Und dennoch fügt es sich konsequent und folgerichtig in Heringers Zugang: Die Auseinandersetzung mit den lokalen Ressourcen und Möglichkeiten. Die Kraft des Unmittelbaren. Die Zufriedenheit durch das Selbermachen. Das Hinterlassen von Spuren. Und das Tun des Machbaren.
Das Machbare zu tun ist auch die Devise der Gemeinde Krumbach, wie deren Altbürgermeister Arnold Hirschbühl in der nachfolgenden Diskussionsrunde offenbart. Krumbach darf als eine der Vorzeigegemeinden des Landes bezeichnet werden, wenn es um die Entwicklung des ländlichen Raums geht. Über zwei Jahrzehnte wurde das Dorfzentrum quasi neu entwickelt und ein Paradigmenwechsel im Zugang zum Wohnen auf dem Land eingeläutet. Hochwertige Mehrwohnungsobjekte im Zentrum, das Zelebrieren des Öffentlichen Verkehrs und eine strategisch ausgerichtete und aktive Raum- und Bodenpolitik haben sich sicht- und erlebbar in der Gemeinde niedergeschlagen.
Auf die Frage, warum das in Krumbach gelungen sei, gibt sich Hirschbühl gewohnt bescheiden und misst schlicht glücklicher Fügung eine ebenso große Bedeutung bei, wie der frühen und konsequenten Einbindung der Bevölkerung in strategische Projekte und dem Mut zur Vision innerhalb der Gemeindepolitik.
„Wenn man es schon irgendwo anschauen kann, müssen wir es nicht mehr machen!“
Arnold Hirschbühl hat von seinen politischen Mandataren Mut zur Vision eingefordert.
Sich selbst sieht Hirschbühl, Bürgermeister von 1995 bis 2018, im Rückblick vor allem als Begleiter, der hie und da ein paar Ideen gestreut, Fäden gezogen und Leute zusammengebracht hat. Gute Leute, wie er heute sagt, die an ihren Projekten auch drangeblieben sind: Hermann Kaufmann als gestalterisches Mastermind etwa, oder Günter Morscher als engagierter Bauträger.
Mit jenem zur Zusammenarbeit gekommen zu sein, sieht Hirschbühl als ein Schlüsselmoment. Denn Morscher stehe für einen privaten Bauträger, der qua seiner Funktion als damaliger Vizebürgermeister von Mellau über großes und profundes Verständnis für die Notwendigkeit der räumlichen Entwicklung der Gemeinde als Gemeingut mitgebracht habe. Mit ihm gemeinsam wurde die erste Wohnanlage im Ortszentrum entwickelt – und sie sollte der Brecher sein, an dem die bedingungslose gedankliche Vorherrschaft des Einfamilienhauses in der Gemeinde ihr Ende finden sollte. Denn in die Wohnanlage zog ein buntes Spektrum an Bewohnern ein – von den älteren Landwirten, die ihren Hof an die Kinder übergeben hatten bis zu jungen Paaren und Familien. Eigentlich, so Hirschbühl, habe das ganze Dorf Einzug in die Anlage gehalten und breites Verständnis und Anerkennung dieser Wohnform geschaffen. Und schlussendlich die Gemeinde dazu ermutigt, gemeinsam mit Günter Morscher und der Wohnbauselbsthilfe weiteren Geschoßwohnbau im Zentrum umzusetzen. Stets mit dem Fokus auf große Diversifizierung in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht.
„Dafür braucht’s Gespür und Hausverstand. Und das hat man.“
Arnold Hirschbühl macht sich’s am Podium leicht.
Was die wesentlichen Erfolgsfaktoren seien, wird Hirschbühl von Gastgeber und Moderator Harald Gmeiner gefragt. „Gefühl und Hausverstand“, meint Hirschbühl schmunzelnd. „Und das hat man.“ Um dann schon noch ein paar Werkzeuge nachzuliefern: Das permanente Engagement von Schlüsselakteuren, das frühzeitige und sorgfältige Einbinden der Meinungsbildner im Dorf und das Zurückgreifen auf lokale Handwerker würden dazu führen, dass Projekte nicht am Stammtisch zerredet würden. Und eine hohe regionale Wertschöpfung für offensichtlichen kommunalen Nutzen.
Und auch nach längerem Nachdenken fällt Hirschbühl auf die entsprechende Frage nichts ein, was er im Wesentlichen anders machen würde. Das Publikum applaudiert und gibt ihm Recht.
Der von Arnold Hirschbühl als Schlüsselfigur angesprochene Baumeister Günter Morscher komplettiert das Podium und antwortet auf die Frage, warum er sich als privater Bauträger höchsten energetischen Ansprüchen verschrieben habe damit, dass die Baubranche für all das, was sie heute „verbreche“, die nächsten sechzig bis siebzig Jahre gerade stehen müsse. Die Branche wüsste es heute aber schon besser und müsse das auch entsprechend umsetzen.
„Wir dürfen heute keinen Standard bauen, der aus der Vergangenheit stammt.“
Günter Morscher appelliert an den Berufsethos seiner Standeskollegen.
So dürfe heute kein Standard mehr gebaut werden, der schon in der Vergangenheit nicht mehr genügt hätte. Und diese Verantwortung würde Morscher eben dadurch wahrnehmen, dass er schon seit mehreren Jahren kein Haus mehr außerhalb des Passivhausstandards errichte. Im nachhaltigen Bauen sei der Durchschnitt nicht gut genug. Wir müssten so gut bauen, wie wir könnten.
„Wer einen Duschkopf für 3.000,- Euro bestellt, erhöht die Baukosten halt nun mal um ein Prozent.“
Günter Morscher sieht in der Baukostendiskussion auch Luft nach unten.
Und das zu bezahlbaren Preisen? Ja, und zwar indem die Dinge vereinfacht und einfache Materialien eingesetzt würden. Das Rad müsse nicht neu erfunden, sondern lediglich klug eingesetzt werden. Rationell zu bauen, sei auch eine Anforderung aus dem gemeinnützigen Wohnbau, der zu gedeckelten Kostenobergrenzen Gebäude errichten müsse, die der Bauträger dann auch „sechzig Jahre an der Backe“ habe.
Deshalb seien die Qualitätsansprüche an die Substanz im sozialen Wohnbau auch höher als im privaten. Und der gemeinnützige Bauträger mache die Dinge einfach und rationell. Das führe dazu, dass der Quadratmeter Nutzfläche zu den nahezu gleichen Kosten errichtet werden könne, wie der durchschnittliche Neubau auf vergleichsweise bescheidenem energetischen Niveau.
Ungeachtet dessen ortet natürlich auch Morscher ein grundsätzliches Problem mit der Kostenentwicklung. Doch müsse man auch selbstkritisch sein. So gäbe es Kunden, die allein für die Dusche den Gegenwert eines Kleinwagens in die Waagschale werfen würden. Und wer – und das gäbe es öfter, als gedacht – 3.000,- Euro für einen Duschkopf ausgebe, erhöhe halt die Baukosten schnell einmal um ein Prozent.
Luft nach unten sieht Morscher aber nicht nur bei den Ausstattungsanforderungen, sondern auch bei den Regelwerken. Mehrfach in der Diskussion schließt er sich Hugo Dworzak mit der Forderung an, im von der Wirtschaft selbst federführend gestalteten Regelwerk ordentlich durchzulüften.
Das würde er denn auch tun, wenn er dann auch, wenn er einen Tag lang ein mit allen Vollmachten und Blankofreigaben ausgestatteter Wohnbaulandesrat wäre. Das war nämlich die Schlussfrage an die Gäste am Podium. Und Morscher ergänzt, er würde die Verantwortung vom Papier zurück auf die Entscheidungen der Partner übertragen, die miteinander ins Geschäft kommen. Denn der Baumeister müsse die Verantwortung für sein Handeln den Bewohnerinnen und Bewohner gegenüber wahrnehmen.
Arnold Hirschbühl würde die Förderung von Gebäuden aussetzen, die nicht mit erneuerbaren Energieträgern beheizt würden und die Errichtung von Solar- und Photovoltaikanlagen zum Standard machen. Auch die Förderung von Einfamilienhäusern würde er aussetzen, denn wer heute ein Einfamilienhaus baue, brauche keine Förderung.
Hugo Dworzak würde alle Gebote und Richtlinien rund um das Bauen außer Kraft setzen in der Hoffung, dass wir wieder anfangen, ernsthaft nachzudenken und die Dinge anzupacken, weil wir uns nicht länger hinter Normen verstecken könnten. Er würde es einer Gruppe von Architekten ermöglichen, ein Gebäude völlig ohne Richtlinien zu errichten.
Und Anna Heringer würde mittels CO2-Steuer und der finanziellen Entlastung der menschlichen Arbeit dafür sorgen, dass eine Baumethode flächendeckend leistbar wird, die „einem gut tut, etwas Befreiendes hat, die gesund ist für Mensch und Umwelt und die Arbeitsplätze schafft“. Denn die sei derzeit paradoxerweise kaum bezahlbar, obwohl sie so einfach sei, wie nur denkbar: Dreck mit den eigenen Händen formen.
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Bildnachweis (alle Bilder dieser Seite): Darko Todorovic.
Diese Veranstaltung wird im Zuge von GreenSan durchgeführt. GreenSan ist ein Projekt von Energieinstitut Vorarlberg, Energie- und Umweltzentrum Allgäu (eza!), Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA), Energieagentur Ravensburg, Energieagentur St. Gallen und der baubook gmbh. Es wird gefördert von der Europäischen Union im Rahmen von Interreg A-B-H.