Im Auftrag der Internationalen Bodenseekonferenz IBK haben wir den Status-Quo der Dekarbonisierung des Gebäudesektors analysiert und Grundlagen für Langfriststrategien aufbereitet. Unsere Schlüsse lesen Sie im Folgenden.

Zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens sind viele Staaten dabei, ambitioniertere Kurz- und Langfristziele festzulegen: Dänemark und Großbritannien haben für 2030 CO2-Reduktionsziele von 70 bzw. 68 % beschlossen, die EU ihr Ziel auf 55 % erhöht.

Auch die Bodensee-Anrainerstaaten haben Ziele von 50 bis 55 % – in Österreich steht die Anpassung des Zielwertes für 2030 noch bevor. Als nationales Langfristziel ist die Klimaneutralität im Jahr 2040 im Regierungsprogramm verankert. Für den Gebäudesektor bedeutet dies eine vollständige Dekarbonisierung innerhalb von etwa 20 bis 30 Jahren.

In einer von der Internationalen Bodenseekonferenz IBK finanzierten Studie untersuchte das Energieinstitut Vorarlberg mit Partnern den Status Quo im Gebäudesektor sowie bisherige Strategien und Umsetzungsmaßnahmen rund um den Bodensee. Darauf aufbauend wurden Grundsätze zur Gestaltung von Langfriststrategien erarbeitet.

Die Status Quo-Analyse zeigt, dass

  • keine der beteiligten IBK-Regionen bislang auf Paris-Zielpfad ist;
  • der absolute Endenergieverbrauch der Wohngebäudeparks seit 1990 um 3 bis 5 % reduziert wurde (CH, Vlbg, Ba-Wü) bzw. um 21 % stieg (Bayern), Abb. 1;
  • der Anteil fossiler Energieträger im Wohngebäudebestand in Vorarlberg mit 
etwa 46 % am niedrigsten ist und in den anderen Regionen zwischen 48 und 85 % liegt (Abb. 2);
  • Sanierungs- und Kesselaustauschrate in allen Regionen deutlich zu niedrig sind;
  • reale EndenergieverbräucheHeiz+WW von 50 kWh/m2 WNFa in hochwertigen Sanierungen erreicht wurden, was Einsparungen von 60 bis 80 % entspricht;
  • Sanierungen mit Wärmepumpen reale Stromverbräuche von 13 bis 15 kWh/m2WNFa für Heizung und Warmwasser erreichen;
  • derartige Einsparungen mit bewährten Konzepten und Komponenten wirtschaftlich möglich sind;
  • die Aufbereitung wichtiger, zur Steuerung des Transformationsprozesses wichtiger Daten uneinheitlich erfolgt und unvollständig ist: Zentrale Größen wie die Abrissrate werden überhaupt nicht, die Sanierungstätigkeit nur unvollständig erfasst. Der Begriff der Sanierungsrate ist nicht einheitlich definiert, die Datenlage besonders zu Nicht-Wohngebäuden sehr lückenhaft.

Hinweis: Wert für Bayern bezieht sich auf die Gesamtfläche der Wohn- und Nichtwohngebäude, da keine differenzierten Werte verfügbar.

Die Untersuchungen zu den Einsparpotenzialen auf Ebene des gesamten Gebäudeparks und zu ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung zeigen, dass

  • gut justierte Förderungen volkswirtschaftlich sinnvoll sind, da sie eine hohe Hebelwirkung haben, das BIP nachhaltig steigern und Arbeitsplätze schaffen;
  • eine Verringerung des absoluten Heizwärmeverbrauchs des Gebäudesektors um etwa 35 bis 50 % bis 2050 (gegen-
über 1990) trotz steigender Wohn- und Nutzflächen als Grundlage für die Dekarbonisierung des Gebäudeparks dringend erforderlich ist;
  • die genannte Reduktion und die vollständige Dekarbonisierung im Rahmen der im Gebäudesektor üblichen, relativ langen Investitionszyklen bis 2050 möglich sind;
  • dies mittlere jährliche Sanierungsraten der Gebäudehülle von etwa 1,5 bis 1,8 % des Gesamtbestandes und Kesselaustauschraten von etwa 4 bis 5 % erfordert, d. h. deutliche Steigerungen der derzeitigen Raten;
  • die mittlere Sanierungsqualität auf kostenoptimale Qualitäten erhöht werden muss. Dies bedeutet für große Teile der Gebäudesanierungen einen Wärmeschutz in der Qualität der Standards Minergie P oder enerphit.

Die Untersuchung der technischen Möglichkeiten zur regenerativen Wärmeversorgung zeigen, dass

  • das Ziel einer vollständigen Dekarbonisierung des Gebäudesektors bis 2040, spätestens 2050 erreichbar ist, wenn der Heizwärmeverbrauch des Gebäudeparks um 35 bis 50 % gesenkt werden kann;
  • Neubauten in spätestens 3 bis 5 Jahren nur noch mit Systemen mit erneuerbaren Energieträgern (inkl. Strom für Wärmepumpenheizungen) errichtet werden müssen;
  • der gesamte Gebäudesektor ab 2040, spätestens 2050 nur noch mit erneuerbaren Energien (inkl. dem bis dahin weitestgehend fossilfreien Strom) beheizt werden muss;
  • das nachhaltig verfügbare Biomassepotenzial begrenzt ist, so dass Biomasse zur Beheizung nur in begrenztem Umfang und prioritär in Kraft-Wärme-Kopplung genutzt werden sollte;
  • „Grüne“ und synthetische Gase eine wichtige Rolle im Energiesystem einnehmen werden, jedoch wegen begrenzter Kapazitäten und hoher Kosten nur sehr begrenzt für den Gebäudesektor zur Verfügung stehen werden;
  • multimodale Fern- und Nahwärmenetze mit hohen Anteilen erneuerbarer Energieträger sowie Anergienetze eine größere Rolle in verdichteten Gebieten spielen werden;
  • Wärmepumpen ihren Marktanteil auch bei der Sanierung stark steigern werden.

Langfrist-Strategien zur Dekarbonisierung sollten sich an folgenden Grundsätzen orientieren:

  • Zielbestimmung auf Basis der globalen Klimaschutzziele des Paris-Abkommens und aus den verbleibenden CO2-Globalbudgets gemäß IPCC
  • Rechtsverbindliche Festlegung sektoraler Langfrist- (2050) und Zwischenziele
  • Verwendung der Indikatoren Treibhausgas-Emissionen und Gesamt-Endenergiebedarf aller An-
wendungen zur Zielbeschreibung im Gebäudesektor
  • Efficieny first – hohe Priorität für die Reduktion des Energiebedarfs: Strategien, die nur aus einen Ersatz nicht-erneuerbarer Energieträger durch erneuerbare setzen, greifen zu kurz: In Zukunft muss ein stärkerer Fokus auf die Reduktion des Endenergiebedarfs gesetzt werden, da auch erneuerbare Energien nur begrenzt verfügbar sind – besonders im Winter. Die Begrenzung des winterlichen Wärmebedarfs kann nur mit hochwertigen Hüllqualitäten erreicht werden.
  • Differenzierung der präferierten Lösungen zur Wärmeversorgung in Abhängigkeit von Gebäudeart, Wärmedichte, der Verfügbarkeit von Wärmenetzen und des energetischen Standards
  • Rechtzeitige Ankündigung Stufenplan zum Ersatz fossiler Brennstoffe. Einbauverbote für Ölheizungen sind teilweise bereits in Kraft bzw. die Zeitpunkte sind festgelegt. Auch Erdgas als stark CO2eq-emittierender Brennstoff muss bis 2040, spätestens 2050 ersetzt werden. Alternativ zu Verboten für Fossile kann eine ähnliche Wirkung durch Festlegung zeitlich degressiver CO2-Grenzwerte für Gebäude erfolgen.
  • Vollständige Umstellung der Stromerzeugung auf nicht-fossile Quellen: Da die Beheizung großer Teile des zukünftigen Gebäudeparks mit Wärmepumpen erfolgen wird, ist eine vollständige Umstellung der Stromerzeugung auf nicht-fossile Quellen eine Voraussetzung für die Dekarbonisierung des 
Gebäudesektors. Angesichts der prognostizierten Zuwächse des Gesamtstromverbrauchs (E-Mobilität, stärkere Stromnutzung in der Industrie …) und angesichts der begrenzten Potenziale der Erneuerbaren (Wasserkraft, Windkraft, auch PV) ist eine hohe Effizienz der Gebäude unabdingbar.
  • Starker Ausbau gebäudeintegrierter PV-Systeme: Um den Flächenbedarf von Freiflächen-PV zu minimieren, sollten die PV-Potenziale an Gebäuden auch bei der Sanierung möglichst vollständig genutzt werden.
  • Maßnahmenpaket zur Begrenzung der Energiearmut: Ähnlich wie in der Schweiz und anderen Staaten sollten Kompensationsmaßnahmen zur Abfederung steigender Energie-
preise für einkommensschwache Haushalte erarbeitet, langfristig finanziert und rechtzeitig kommuniziert werden, bevor eine CO2-Bepreisung auch in Österreich eingeführt wird.

Dieser Beitrag stammt aus der 69. Ausgabe unserer Institutszeitschrift max50. Sie können max50 hier nachlesen und hier kostenlos abonnieren.


Zuletzt aktualisiert am 8. April 2021