Im Rahmen eines laufenden EU-Projekts haben wir einen Vorschlag zur Definition der Mindestanforderungen des Standards Niedrigstenergiehaus in der BTV 2021 erarbeitet. Er optimiert Klimaschutz, Investitions- und Lebenszykluskosten. Der Standard wird von der EU gefordert, die Umsetzung obliegt in Österreich den Ländern, in deren Kompetenz die Baugesetzgebung liegt.
Europäische und österreichische Rahmenbedingungen
Die Einführung dieses Standards ist in der EU Gebäuderichtlinie EPBD verpflichtend vorgegeben, die Definition erfolgt durch die Mitgliedsstaaten. Die EU gibt vor, dass die Mindestanforderungen nach einem einheitlichen Verfahren auf der Basis von Wirtschaftlichkeitsberechnungen festgelegt werden: die Mindestanforderungen müssen so festgelegt werden, dass sie maximal 15% schlechter sind, als das Niveau, für das sich die niedrigsten Lebenszykluskosten für Investition, Wartung und Instandhaltung sowie Energiekosten ergeben.
Der österreichweite Rahmen für die Definition des Standards Niedrigstenergiehaus wird in einigen Dokumenten des Österreichischen Instituts für Bautechnik (OIB) gelegt, die rechtlich verbindliche Umsetzung erfolgt in den Bautechnikverordnungen der Bundesländer.
Eigene Vorarlberger Kostenoptimalitätsstudie
„In einem ersten Schritt haben wir analysiert, welche Verpflichtungen sich für die Bautechnikverordnung aus den Vorgaben der EU und aus den OIB-Dokumenten ergeben“, so Martin Ploss, der Leiter des EU-Projekts. „Zweiter Schritt waren Lebenskostenberechnungen für drei repräsentative Mustergebäude unterschiedlicher Größe nach der von der EU vorgegebenen Methodik. Eine solche Kostenoptimalitätsstudie hat zwar schon das OIB vorgelegt, unsere Kostendaten sind jedoch deutlich detaillierter und in sich konsistenter, da wir sie auf der Basis von abgerechneten Kosten bzw. Angebotspreisen von realen Bauprojekten wie KliNaWo erhoben haben.
In diesem Projekt und in einigen Nachfolgeprojekten haben wir ja bewusst modular ausgeschrieben, um Kosten für sehr viele unterschiedliche Konzepte in verschiedenen Energieniveaus zu erhalten. Wir hatten es natürlich auch leichter, als das OIB, weil wir „nur“ das Kostenniveau Vorarlbergs erhoben haben und das OIB versuchen musste, so etwas wie einen Österreichschnitt der Kosten zu definieren.
Außerdem wurden in der OIB-Studie einige Konzepte und Technologien überhaupt nicht berücksichtigt, so etwa PV-Anlagen, größere Solarthermieanlagen, Wärmerückgewinnung und Haustechnikkomponenten in einem aktuellen technischen Niveau. Unsere Kostenoptimalitätsstudie ist daher für Vorarlberg deutlich aussagekräftiger als die des OIB“.
Drei bewährte und ein zusätzlicher Indikator
Im Vorschlag des EIV werden die bisherigen Indikatoren der Bautechnikverordnung Vorarlberg
- Heizwärmebedarf,
- Primärenergiebedarf und
- CO2-Emissionen beibehalten.
Für den Heizwärmebedarf wird jedoch ein Wechsel zum vom Standort- zum Referenzklima vorgeschlagen, um einem Wunsch der Bauwirtschaft nachzukommen. Als zusätzlicher Indikator wird ein
- Mindest-PV-Ertrag
vorgeschlagen – ähnlich wie es u.a. Wien und Baden-Württemberg (für Nicht-Wohngebäude) bereits eingeführt haben. „Die Kosten für PV-Anlagen haben sich in den vergangenen Jahren in etwa halbiert, die Anlagen sind wirtschaftlich, also für jeden Bauherren vorteilhaft. Um das Landesziel einer Verdreifachung der PV-Leistung bis 2030 zu erreichen, schlagen wir die Einführung von Mindest-PV-Erträgen vor“, so Ploss.
Stufenplan zur Umsetzung
Zur Umsetzung sieht der Vorschlag – auf Anregung des Landes – einen Stufenplan vor, in dem die Anforderungen ab Inkrafttreten der BTV – voraussichtlich etwa Mitte 2021 und in einer schon jetzt angekündigten 2. Stufe ab 2023 beschrieben werden.
* spezifischer PV-Ertrag in kWh/m2projizierte Dachflächea
Tabelle 1: Justierungsvorschlag Energieinstitut Vorarlberg für BTV 2021 / 2023 – Wohnen Neubau
Die in der Tabelle 1 genannten Werte sind wegen zahlreicher Änderungen in den Rechenalgorithmen und Randbedingungen der Neufassung der OIB Richtlinie 6 von 2019 sowie in den ebenfalls neuen mit geltenden Normen kaum mit den bisherigen Werten nach OIB Richtlinie 6 (2015) vergleichbar und werden daher nachfolgend erläutert.
Anforderungen an Hüllqualität minimal erhöht
Die Anforderung für den Heizwärmebedarf – 11er Linie des HWBRef, RK nach OIB Richtlinie 6 (2019) entspricht in etwa der bisherigen Anforderung der 12er Linie des HWBRef, SK für gemeinnützige Bauvereinigungen bei Berechnung nach OIB Richtlinie 6 (2015). Für private Bauherren und gewerbliche Bauträger führt der Justierungsvorschlag zu geringfügigen investiven Mehrkosten, die im Lebenszyklus jedoch durch Energiekosteneinsparungen ausgeglichen werden.
Justierung der Anforderungen an Primärenergie und CO2 nach den Lebenszykluskosten
Die folgende Abbildung zeigt die CO2-Werte von mehreren Tausend Varianten des in der Kostenoptimalitätsstudie berücksichtigten typischen Mehrfamilienhauses mit ca. 1.820 m2 BGF.
Die CO2-Emissionen des Gebäudes liegen bei Berechnung nach OIB Richtlinie 6 (2019) zwischen 4,1 und 19,9 kg/(m2BGFa), das Kostenoptimum bei 6,4 kg/(m2BGFa).
Der kostenoptimale Wert von 6.4 kg/(m2BGFa) entspricht in etwa dem Wert, den das von der VOGEWOSI im Rahmen des Modellvorhabens KliNaWo errichtete Mehrfamilienhaus (Passivhaushülle, Abluftanlage, Thermie, Sole-Wärmepumpe) erreicht. Das Modellvorhaben zeigt, dass die Grundlagen für die Lebenszykluskostenberechnungen des Energieinstitut Vorarlberg valide sind:
Der reale Energieverbrauch des Gebäudes lag in den ersten beiden Jahren knapp unter dem berechneten Wert, die Errichtungskosten mehr als 200 EUR/m2 Wohnfläche unter dem Durchschnittswert aller zeitgleich errichteten gemeinnützigen Wohnbauten in Vorarlberg. Details dazu im KliNaWo-Zwischenbericht und im Monitoringbericht.
Da der kostenoptimale Bereich sehr flach ausgeprägt ist, treten in einem Bereich von etwa 5,5 bis 8,5 kg/(m2BGFa) sehr ähnliche Lebenszykluskosten wie am absoluten Kostenoptimum auf.
Vorarlberg als Vorreiter beim Fade-out von Gas im Neubau
Als Mindestanforderung für 2021 sieht unser Justierungsvorschlag einen Wert von 10 kg/(m2BGFa) vor. Dieser Wert ist – wie in Abbildung 1 dargestellt – mit allen erneuerbaren Energieträgern gut zu erreichen, das Kostenoptimum liegt bei noch besseren Qualitäten. Die besten Gasvarianten haben – in der Abbildung verdeckt – CO2-Emissionen von 6,8 kg/(m2BGFa). Gasvarianten mit Emissionen von max. 10 kg/(m2BGFa) blieben weiterhin zulässig, alle Energieträger (außer Öl) würden gleich behandelt: Grenzwert erreicht: Gebäude zulässig.
Ab 2023 wird ein CO2-Grenzwert von 8 kg/m2BGFa vorgeschlagen. Dieser ist mit Wärmepumpen, erneuerbarer Fernwärme und Biomasse problemlos und wirtschaftlich erreichbar und mit Gas ebenfalls technisch möglich. Da der Wert in gasbeheizten Varianten nur mit mehreren Zusatzmaßnahmen (z.B. beste Hülle, Wärmerückgewinnung, sehr große Solaranlage etc.) möglich ist, würde die Anzahl der Neubauten mit Gasheizung auf ein Minimum reduziert, Gas jedoch nicht verboten. Vorarlberg würde so zum Vorreiter beim schnellen fade-out von Gas im Neubau.
Wenn man noch einen Schritt weiter gehen wollte, könnte man die Gasheizung im Neubau ab 2023 verbieten. Das wäre 2 Jahre vor dem Termin, der im aktuellen österreichischen Regierungsprogramm vorgesehen ist.
Umstellung der Förderung auf Barzuschüsse
Für die Energiekriterien der Wohnbauförderung werden progressive Fördersätze vorgeschlagen. Für CO2 sollte die Förderung bei 7 kg/(m2BGFa) auf 10 EUR Barzuschuss pro m2 Wohnfläche und bei max. 4,5 kg/(m2BGFa) auf 25 EUR/m2 Wohnfläche festgelegt werden. Die Umstellung von zinsgünstigen Krediten auf Barzuschüsse ist für Bauherren weit attraktiver, da einfacher einzuschätzen.
Ähnliche Barzuschüsse sieht der Justierungsvorschlag auch für besonders gute Werte des Heizwärme- und des Primärenergiebedarfs sowie für hohe PV-Erträge vor. Die Umstellung auf Barzuschüsse erscheint auch deshalb sinnvoll, da die bisherigen Barzuschüsse der Energieförderung für den Neubau in Kürze entfallen werden.
Die Umsetzung des Justierungsvorschlags des Energieinstitut Vorarlberg führt zu kostenoptimalen Gebäudequalitäten, die in etwa kompatibel zu den Klimaschutzzielen des Landes, Österreichs und der EU sind. Die Investitionskosten von Gebäudevarianten mit erneuerbaren Energieträgern steigen gegenüber den Kosten zur Erreichung der aktuellen Anforderungen nur geringfügig um etwa 10 bis 40 EUR/m2 Wohnfläche. Diese Mehrkosten werden zum größeren Teil durch die Energiekosteneinsparung, zum Teil durch die vorgeschlagenen Bar-Zuschüsse kompensiert.
Deutliche Vereinfachungen in der Handhabung
Der Justierungsvorschlag führt zu deutlichen Vereinfachungen der Nachweise der Mindestanforderungen
- DIe Alternativenprüfung gemäß 5.1.1 OIB RL 6 (2019), kann komplett entfallen.
- Der Nachweis des Mindestmaßes an erneuerbaren Energien gemäß 5.2.1 OIB RL 6 (2019) kann komplett entfallen
Der Entfall der Alternativenprüfung und des Nachweises des Mindestnachweises an erneuerbaren Energien führt dazu, dass ein sehr großer Teil der Unsicherheiten und Streitfälle bei der Auslegung der OIB RL 6 entfallen.
Begleitmaßnahmen bei Einführung der BTV 2021
Die Einführung der BTV 2021 sollte durch die folgenden Maßnahmen begleitet werden:
- Abstandsnachsicht für Außenwände mit U-Wert besser 0,14 W/(m2K): Es wird vorgeschlagen, dass Außenwände mit U-Werten bis max. 0,14 W/(m2K) die Baugrenzen um max. 10 cm überschreiten dürfen, sofern ihre Gesamtdicke 55cm nicht überschreitet. Durch diese Regelung würden vermieden, dass die Grundstücksausnutzung in Gebäuden mit hohem Energieniveau verschlechtert wird.
- Einführung und Bezuschussung eines Beratungsprogramms zur energetisch-wirtschaftlichen Optimierung fossilfreier Neubauten. Ein entsprechendes Beratungsprogramm wird derzeit vom Energieinstitut Vorarlberg im Rahmen des o.g. EU-Projekts entwickelt und kann ab Anfang 2022 angeboten werden. Es baut auf den Erfahrungen aus zahlreichen Modellvorhaben und Projektbegleitungen auf.
Die ausführliche Studie des Energieinstitut Vorarlberg zur Justierung der Anforderungen der Bautechnikverordnung 2021 für den Neubau von Wohngebäuden steht hier zum Download zur Verfügung.
Justierungsvorschlag auch für die Sanierung von Wohngebäuden
Auch zur Justierung der Anforderungen an größere Sanierungen und an die Sanierung von Einzelbauteilen von Wohngebäuden erarbeitete das Energieinstitut einen Vorschlag.
BTV Stufe 1 – ab 2021 kWh/(m2BGFa) bzw. kg/(m2BGFa) |
BTV Stufe 2 – ab 2023 kWh/(m2BGFa) bzw. kg/(m2BGFa) |
|
HWBRef,RK |
16er Linie |
15er Linie |
PEBSK150 |
150 | 140 |
CO2eq,SK |
13 (24**) | 12 (22**) |
Gas, Öl |
zulässig, wenn alle Werte erreicht | zulässig, wenn alle Werte erreicht |
el. direkt |
zulässig, wenn alle Werte erreicht | zulässig, wenn alle Werte erreicht |
PV-Ertrag |
(20)* | 20* |
*: spezifischer PV-Ertrag in kWh/m2projizierte Dachflächea
**: höherer CO2-Grenzwert gilt für Gebäudesanierungen, in denen ein bis zu 12 Jahre alter, bestehender Gas-Brennwertkessel zunächst weiterbetrieben wird
Tabelle 2: Justierungsvorschlag Energieinstitut Vorarlberg für BTV 2021 / 2023 – Wohnen größere Sanierung
Für größere Sanierungen werden die gleichen Indikatoren vorgeschlagen wie für Neubauten. Die vorgeschlagenen Grenzwerte orientieren sich ebenfalls an den Ergebnissen einer Kostenoptimalitätsstudie des Energieinstituts sind jedoch etwas weniger ambitioniert gewählt, als die für den Neubau.
Auch für die Sanierung von Einzelbauteilen sieht der Justierungsvorschlag des Energieinstitut ambitioniertere Mindestanforderungen vor. So werden etwas strengere U-Werte für opake Bauteile und für Fenster vorgeschlagen.
Der Justierungsvorschlag für die Sanierung kann hier heruntergeladen werden.
Die Studie zur Entwicklung eines Justierungsvorschlags für die Bautechnikverordnung 2021 für den Neubau von Wohngebäuden wurde als Teil des Forschungsprojekts „AB 231 – Internationale Vernetzung von Wissenschaft und Bauwirtschaft zur Entwicklung wirtschaftlicher Angebote für nearly zero energy buildings“ im Rahmen des INTERREG V-A Programms Österreich – Bayern 2014-2020 durchgeführt. Das Projekt wird von der EU und vom Land Vorarlberg sowie aus Eigenmitteln des Energieinstitut Vorarlberg finanziert.
Die Studie zur Entwicklung eines Justierungsvorschlags für die Sanierung von Wohngebäuden wurde aus Eigenmitteln des Energieinstitut Vorarlberg finanziert.
Zuletzt aktualisiert am 16. März 2021